Einflussfaktoren auf die Notenvergabe

Die Notenvergabe hängt nicht nur von der tatsächlichen Leistung der Schüler/innen ab.
Sie wird auch von vielen weiteren und teilweise sogar fachfremden Faktoren beeinflusst.
Solche Faktoren sind:
Das Schulcurriculum definiert, welche Leistungen überhaupt beachtet werden. Schüler/innen, deren Stärken außerhalb der Inhalte des Schulcurriculums liegen, bekommen hierfür zumeist kein (positives) Notenfeedback. Rechtsvorschiften über Haupt- und Nebenfächer bzw. über Vorrückungs- und Nicht-Vorrückungsfächer geben den Noten in verschiedenen Fächern unterschiedliches Gewicht.
Es gibt individuelle Vorlieben und kulturelle Traditionen der Bewertung verschiedener Leistungsbereiche. Zum Beispiel halten viele Personen Mathematik oder Physik für besonders schwer und Musik oder Kunst gelten hingehen als eher „leichte“ Fächer. Dies sind Meinungen zu den Fächern und keine Tatsachen. Dennoch beeinflussen diese Meinungen, welche Fachnote subjektiv wieviel zählt. Zudem beeinflussen sie, wie streng oder mild in einem Fach bewertet wird. In der Grundschule werden beispielsweise Mathematik und Deutsch am strengsten bewertet, Religion, Kunst und Musik am mildesten (Tent, 2006).
Leistungsbewertung geschieht immer mit Bezug auf eine bestimmte Norm. Diese sogenannte Bezugsnorm (BN) legt fest, was als gut und was als schlecht gilt. Je nach Bezugsnorm kann die Leistungsbewertung sehr unterschiedlich ausfallen. Man kann drei verschiedene Bezugsnormen unterscheiden:
    • Soziale BN: Einzelleistungen werden in Bezug auf die Leistung einer Gruppe beurteilt. Wenn z.B. die Einzelleistung der mittleren Gruppenleistung entspricht, wird sie als durchschnittlich bewertet, wenn sie sie übertrifft, als überdurchschnittlich. Wenn sich die gesamte Gruppe verbessert oder verschlechtert, bleibt das Verhältnis der Einzelleistung zum Gruppendurchschnitt unverändert und damit auch die Bewertung der Einzelleistung.
    • Kriteriale BN: Der Beurteilung liegen sachliche Anforderungen zu Grunde. Wird den Anforderungen entsprochen oder werden sie übertroffen, wird eine Leistung als gut oder sehr gut bewertet. Wie andere Schüler/innen abgeschnitten haben, spielt für die Leistungsbewertung Einzelner keine Rolle.
    • Individuelle BN: Jede Person wird nur an sich selbst und ihren eigenen Fähigkeiten gemessen. Entscheidend ist der gezeigte Lernfortschritt. Wenn ein/e Schüler/in sich verbessert, wird die Leistung als gut bewertet. Bei einem Rückschritt hingegen wird sie als schlecht beurteilt. So können Schüler/innen auf unterschiedlichem Niveau dieselbe Leistungsbewertung erhalten oder es gibt unterschiedliche Noten auf gleiche Leistungen.
A
Bei der Beurteilung der Schüler/innen können Lehrkräfte die unterschiedlichen BN unterschiedlich stark nutzen. Dies nennt man Bezugsnormorientierung (BNO). Es wird angenommen, dass sich die jeweilige BNO von Lehrkräften unterschiedlich auf die Entwicklung von Lernmotivation und Leistung der Schüler/innen auswirkt.
A
Beurteilungen nach einer kriterialen BNO wirken bei starken wie bei schwachen Schüler/innen positiv und fördern die Einstellung zum Lehrstoff. Die Auswirkungen unterscheiden sich aber nach dem Schwierigkeitsgrad der Anforderungen. Positive Auswirkungen sind nur zu erwarten, wenn die Anforderungen zu den Kenntnissen und Fähigkeiten der Lernenden passen. Dauerhafte Unter- oder Überforderung wirken sich negativ auf Motivation und Gefühle beim Lernen aus.
A
Bei einer individuellen BNO zeigen insbesondere schwächere Schüler/innen weniger Angst, höhere Fähigkeitsselbstkonzepte, bessere Schulleistungen, und sie setzen sich realistischere Lernziele. Allerdings müssen Lehrkräfte mit individueller BNO beachten, dass Leistungen bei Schüler/innen auch zufällig schwanken können. Auch haben gute Schüler/innen andere Veränderungsmöglichkeiten als schlechte Schüler/innen. Ein Kind mit guten Leistungen hat wesentlich geringere Möglichkeiten, sich zu verbessern, als ein Kind mit schlechten Leistungen. Eine Verbesserung (oder auch Verschlechterung) im vergleichbaren Ausmaß kann so bei verschiedenen Schüler/innen völlig Unterschiedliches bedeuten. Ähnlich ist es bei Leistungskonstanz: Gleichbleibend hohe Leistungen sind anders zu interpretieren als gleichbleibend niedrige.
A
Bei der sozialen BNO können die dadurch entstehenden sozialen Leistungsvergleiche insbesondere schwache Schüler/innen in ihrer Lernmotivation und ihren Lernprozessen negativ beeinflussen. Ein Problem der sozialen BNO ist auch, dass es für einzelne Schüler/innen schwer sein kann, sich in der Note zu verbessern. Wenn sich die gesamte Gruppe verbessert oder verschlechtert, bleibt das Verhältnis der Einzelleistung zum Gruppendurchschnitt konstant und die Beurteilung unverändert. Fortschritte werden damit in der Note nicht abgebildet. Problematisch ist die soziale BNO auch, wenn die Gruppe insgesamt sehr leistungsstark oder -schwach ist; dann werden Einzelleistungen leicht unter- bzw. überschätzt. Schließlich wird bei der sozialen BNO oft implizit davon ausgegangen, dass Leistungen in einer Klasse normalverteilt sind, d. h. es wird angenommen, dass mittelmäßige Leistungen am häufigsten, gute und schlechte seltener und sehr gute und sehr schlechte am seltensten vorkommen. Das Vorliegen einer Normalverteilung ist bei kleinen Personengruppen aber höchst unwahrscheinlich! Die Normalverteilung ist eine Zufallsverteilung, aber Leistungen sind im Schulalltag selten zufällig verteilt. Auf jeden Fall geht es in der Schule darum, Leistungen zu fördern und damit gute Leistungen wahrscheinlicher zu machen – spätestens dann kann nicht mehr von einer zufälligen Verteilung die Rede sein. Geht man nach wie vor von einer Zufallsverteilung aus, unterstellt man die Erfolglosigkeit aller Förderbemühungen.
A
Wichtig für die professionelle Beurteilungspraxis ist es, offen zu legen, welche Bezugsnorm der Leistungsbeurteilung jeweils zugrunde liegt. Die zu nutzenden Bezugsnormen sind zudem in den rechtlichen Regelungen zur Leistungsbewertung der Bundesländer festgelegt (zumeist gelten die kriteriale BN und teilweise auch die individuelle BN).
A
Unter diesem Link können Sie Ihre individuelle BNO testen: http://bildungswissenschaften.uni-saarland.de/
Die Notenvergabe kann von verschiedenen Schülermerkmalen beeinflusst und auch verfälscht werden.
A
Herkunft: Schüler/innen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen werden schlechter bewertet. Dieser Effekt zeigt sich verstärkt in sprachlichen Fächern, und hier insbesondere in Deutsch (Sacher, 2014). Auch auf Schullaufbahnempfehlungen haben Gruppenzugehörigkeit und Migrationshintergrund Einfluss. Bei gleicher Intelligenz und Leistung haben Kinder ohne Migrationshintergrund oder Kinder aus priviligierten Gruppen eine größere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten als Kinder mit Migrationshintergrund oder Kinder aus benachteiligten Gruppen (Hußmann et al., 2017).
A
Geschlecht: Mädchen erhalten tendenziell bessere Noten als Jungen (Sacher, 2014). Eine Untersuchung von Notenvergaben in 78 vierten Grundschulklassen zeigte bei gleicher Fähigkeit eine bessere Benotung von Mädchen in Deutsch, während im Fach Mathematik Mädchen und Jungen gleich gut bewertet wurden (Kuhl & Hannover, 2012).
A
Äußerlichkeiten: Des Weiteren können auch verschiedene äußere Merkmale, wie etwa das Tragen einer Brille sowie der daraus entstehende Gesamteindruck des Lernenden, auf die Bewertung wirken. Ein negativer Eindruck, resultierend etwa aus Kleidung, Auftreten oder Ausdrucksweise, beeinflusst die Leistungsbeurteilung tendenziell negativ (Sacher, 2014, S. 45).
Eine Reihe von stabilen oder auch situativen Eigenschaften der Lehrkraft kann beeinflussen, wie diese Noten vergibt. Hierzu zählen beispielsweise Alter, Geschlecht, Ausbildung, berufliche Motivation, Rollenauffassung oder Ermüdung. Unterschiede zwischen Lehrkräften zeigen sich dabei z.B. in Bewertungstendenzen.
Bewertungen einer Lehrkraft können generell zu gut, zu streng, zu extrem oder zu undifferenziert ausfallen. Solche systematischen Bewertungstendenzen machen die Notenvergabe abhängig von der Person der Lehrkraft, was die Objektivität der Noten beeinträchtigt.
Auch die Zusammensetzung einer Schulklasse beeinflusst die Notenvergabe. Analog zu der schlechteren Einzelbewertung von Lernenden mit niedrigerem sozioökonomischem Status, werden auch ganze Klassen mit durchschnittlich niedrigerem sozioökonomischem Status schlechter bewertet. Beispielsweise fand sich für das Fach Mathematik, dass – bei vergleichbarer Fähigkeit und Motivation – Klassen mit durchschnittlich niedrigerer sozialer Herkunft schlechtere Noten erhielten als Klassen mit höherer sozialer Herkunft (Westphal, Becker, Vock, Maaz, Neumann & McElvany, 2015).
A
Die Klassenzusammensetzung beeinflusst zudem die Benotung einzelner Lernender in der Klasse. Je höher das durchschnittliche Leistungsniveau der Klasse, desto schwerer wird es für Schüler/innen, gute Noten zu erhalten. Durch das Anlegen einer sozialen Bezugsnorm werden die Lernenden an dem Leistungsniveau der Mitschüler/innen gemessen. Schüler/innen mit identischen Leistungen werden daher in Klassen mit niedrigem mittlerem Leistungsniveau besser benotet als in Klassen mit höherem mittlerem Leistungsniveau (Neumann, Nagy, Trautwein & Lüdtke, 2009; Südkamp & Möller, 2009).