Förderdiagnostik

Leistungsüberprüfungen können weit mehr Funktionen erfüllen als bloß Daten für die Bewertung zu liefern (s.a. Funktionen von Noten). Sie können einen entscheidenden Beitrag zur Optimierung von Lernprozessen und zur Förderung der individuellen Entwicklung der Schüler/innen leisten. Leistungsüberprüfungen dienen als Rückmeldung an die Lernenden und können hier z.B. die Notwendigkeit vermehrter Anstrengung anzeigen. Auch wird ersichtlich, ob der erwünschte Lernerfolg eingetreten ist, oder ob die Lehrperson Lehr-Lernprozesse anpassen sollte. Zudem dienen Leistungsüberprüfungen der Erziehung zu eigenverantwortlichem Lernen, da Lernende etwa ihre Motivation nach positiven wie negativen Rückmeldungen selbst regulieren müssen. Leistungsüberprüfungen liefern somit nicht nur Informationen über den Lernprozess und die Schülerinnen und Schüler. Vielmehr können mit ihrer Hilfe auch Informationen für die Lernenden und die Optimierung der Prozesse generiert werden (Sacher, 2014, S. 223).
Hierfür ist es erforderlich, Leistungsüberprüfungen teilweise anders vorzunehmen als weithin üblich. Ein einziger abschließender Test am Ende einer Lerneinheit kann lediglich Anpassungen des Unterrichts der nächsten Einheit ermöglichen. Jedoch sind keine Korrekturen in der Vermittlung der überprüften Inhalte mehr möglich, und auch die Schüler/innen können festgestellte Defizite nicht mehr korrigieren. Oftmals enthalten die Leistungsrückmeldungen zudem nicht genügend Informationen für die Lernenden, um ihnen eine erfolgreiche Anpassung zu ermöglichen.
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Förderdiagnostik erfordert mehr Transparenz und Flexibilität bei der Leistungsüberprüfung als sie zumeist praktiziert wird.
  • Förderdiagnostik beinhaltet einen weiten Leistungsbegriff, der neben Fachkompetenzen auch soziale, methodische und persönliche Kompetenzen einschließt. Auch diese sind Teil der Leistungsentwicklung und somit überprüfungsrelevant.
  • Förderdiagnostik erfordert eine Vielfalt an Prüfungsformen. Lernende können auf verschiedenste Art und Weise nachweisen, dass die Lernziele erreicht wurden, beispielsweise im Rahmen eines Portfolios (s.a. Alternative Formen der Leistungsbeurteilung). Zentral ist hierbei, dass die Leistungsüberprüfungen auch den Lernprozess erfassen, um frühzeitige Anpassungen des Lehr-Lernprozesses zu erlauben.
  • Zudem ist eine aktive Beteiligung der Lernenden am Prozess der Leistungsüberprüfung förderlich. Damit die Lernenden die Informationen aus der Überprüfung für sich nutzen können und wollen, ist es wichtig, dass sie diese Informationen verstehen und akzeptieren können. Dies kann auf verschiedene Weise sichergestellt werden. Inhalte und Sinn der Leistungsüberprüfungen können mit den Schülerinnen und Schülern vorab besprochen werden. Statt einer rein schriftlichen Rückmeldung der Ergebnisse können Gespräche stattfinden. Diese sind weniger anfällig für Missverständnisse, führen zu höherer Akzeptanz und können zudem auch der Lehrperson Informationen für die Ursachen der gezeigten Leistung liefern. Eine extreme Form der Partizipation stellt die Selbstbeurteilung durch die Lernenden dar (s.a. Alternative Formen der Leistungsbeurteilung).
Constructive Alignment
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Einen theoretischen Rahmen für die Förderdiagnostik liefert das Konzept des Constructive Alignment (Biggs, 1996). Constructive bezieht sich hierbei auf die vielfach wissenschaftlich gestützte Ansicht, dass neues Wissen von den Lernenden selbst konstruiert wird, und nicht einfach von der Lehrperson auf die Lernenden übertragen wird. Dies stellt das Verständnis der Unterrichtsprozesse durch die Lernenden in den Mittelpunkt. Alignment bezeichnet die Abstimmung von Lehrzielen, Lernaktivitäten und Leistungsüberprüfung. Dies beinhaltet die folgenden Schritte (Biggs, 2014):
  1. Festlegen und Kommunikation des angestrebten Lernergebnisses
  2. Schaffen einer Lernumgebung, welche die Lernaktivität herbeiführt
  3. Stellen einer Überprüfungsaufgabe, Festlegen von Leistungsabstufung (Niveaus, Rubriken) bezüglich des Kriteriums „Lernzielerreichung“
  4. Transformation der Leistungsabstufung in Noten (wenn erforderlich)
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In den Schritten 1-3 sollte jeweils der gleiche Operator verwendet werden. Wenn es zum Beispiel das Ziel ist, dass Schülerinnen und Schüler einen Sachverhalt analysieren können, so ist der Unterricht auf diese Kompetenz auszurichten, und auch die Leistungsüberprüfung sollte eine Analyse sein. Wenn Lehrziele Handlungskompetenzen beschreiben, sind auch die Prüfungsformen weit mehr auf Handlungskompetenzen zu fokussieren. Im Rahmen von Constructive Alignment erfolgen Leistungsüberprüfungen anhand einer kriterialen Bezugsnorm (s.a. Einflussfaktoren auf die Notenvergabe).
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Unter dem Schlagwort Assessment for Learning haben einige der beschriebenen Prinzipien wie die klare Kommunikation von Lernzielen, Anforderungen und Bewertungskriterien weite Verbreitung erfahren. Neben der stärkeren Betonung von unterrichtsbegleitender, formativer Leistungsüberprüfung gegenüber summativen Prüfungen am Ende einer Einheit, liegt ein besonderes Augenmerk auf der aktiven und weitgehenden Involvierung der Schüler/innen in den Prozess der Leistungsüberprüfung (Stiggins, 2002). Dies betrifft auch die Form des Feedbacks. Sowohl Rückmeldung durch die Lehrkraft als auch Selbstbewertung durch die Lernenden sind wichtig (Black & William, 1998). Es ist somit wünschenswert, dass man Schüler/innen Möglichkeiten zur Reflexion der eigenen Arbeit gibt, sie bei der Identifikation von Stärken und Schwächen unterstützt und eine motivationsdienliche Einschätzung der eigenen Leistung fördert (Jones, 2005). Der Wert des Feedbacks der Lehrperson wiederum bemisst sich daraus, wie gut es von den Lernenden aufgenommen und genutzt werden kann (Brown, 2005; Jones, 2005). Die Qualität von Assessment for Learning steht und fällt mit der Qualität des Feedbacks. Es existieren viele Leitlinien für gutes Feedback, die folgende Liste stammt von Nicol und Macfarlane (2006).
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Gutes Feedback im Rahmen formativer Leistungsüberprüfung …
  • stellt dar, was gute Leistung ist (Ziele, Kriterien, Standards)
  • erleichtert die Entwicklung von lernbezogener Selbstreflexion
  • liefert den Lernenden hochwertige Informationen über ihr Lernen
  • fördert den Dialog zwischen Lehrperson und Lernenden über das Lernen
  • fördert positive motivationale Prozesse und den Selbstwert
  • zeigt Möglichkeiten auf, die Ist-Soll-Lücke zu schließen
  • liefert der Lehrperson Informationen für die weitere Unterrichtsgestaltung