Urteilsfehler bei der Notenvergabe und Gegenmaßnahmen

Wie alle Menschen können auch Lehrkräfte nie ganz vermeiden, dass ihre persönlichen Eigenarten, Vorlieben und Abneigungen in ihre Urteile einfließen. Im Folgenden werden die bedeutsamsten Urteilsfehler erklärt und jeweils Gegenmaßnahmen vorgeschlagen.
Dieser Urteilsfehler liegt vor, wenn die Differenzierung in den Urteilen verloren geht und positive oder negative Leistungsaspekte über- oder unterbetont werden. Es gibt verschiedene Varianten dieses Urteilsfehlers:
  • Strengefehler: Zu diesem Fehler kommt es bei der Neigung, kleinere Mängel relativ stark zu gewichten und vor allem negative Urteile bzw. schlechte Noten zu vergeben. Ein Hinweis auf diesen Fehler ist, wenn sich besonders strenge Beurteilungen bei derselben Lehrkraft in unterschiedlichen Klassen zeigen, die ggf. bei anderen Lehrkräften nicht negativ auffallen. Das Gegenstück zu diesem Fehler ist der Mildefehler.
  • Tendenz zur Mitte: Darunter versteht man die Neigung, vor allem mittlere Urteile und durchschnittliche Noten zu vergeben – extremere Urteile (positiv oder negativ) werden vermieden. Das Gegenstück zu diesem Fehler ist die Tendenz zu Extremurteilen.
  • Sich bewusstmachen, zu welchem Fehler man selbst neigt. Dies gelingt am besten, indem man die eigenen Beurteilungen über einen größeren Zeitraum und eine große Schüler/innenzahl betrachtet. Kommen gute, durchschnittliche oder schlechte Noten überdurchschnittlich häufig vor?
  • Schüler/innenleistungen durch mehrere Lehrkräfte unabhängig voneinander beurteilen lassen und vergleichen.
  • Sich bewusstmachen, welche Urteilsfehler in Bezug auf das unterrichtete Fach, die Schulart und Schulstufe naheliegen. Religion und Kunst werden oft sehr mild, Mathematik und Deutsch dagegen meist sehr streng beurteilt; in Gymnasien und höheren Klassen wird strenger benotet.
  • Sich über die alterstypische Leistungsfähigkeit der Schüler/innen informieren – vor allem, wenn man zu anderen Altersstufen wechselt oder verschiedene Altersstufen unterrichtet. Das kann über Gespräche mit Kolleg/innen, Fachliteratur und ggf. standardisierte Schulleistungstests geschehen.
  • Immer wieder überprüfen, ob besonders auffallende Schwächen oder Stärken in Bezug auf Prüfungsleistungen nicht vielleicht doch häufiger vorkommen, als man zunächst meint.
  • Jede Leistung sowohl auf Stärken als auch auf Schwächen untersuchen, um eine Tendenz zu Extremurteilen zu vermeiden.
Zur Verfälschung durch Voreingenommenheiten kommt es bei der Leistungsbeurteilung, wenn diese von anderen Urteilen über die Schüler/innen beeinflusst wird. Es gibt verschiedene Varianten:
  • Reihungsfehler: Leistungsbeurteilungen werden von vorangegangenen Leistungsbeurteilungen beeinflusst. So wird eine durchschnittliche Schülerleistung nach einer sehr schlechten Leistung eines anderen Schülers besser bewertet, nach einer sehr guten dagegen schlechter. Auch benoten Lehrkräfte meist nur ungern mehrere aufeinander folgende Leistungen mit „sehr gut“, weil sie glauben, so viele Einsen hintereinander könne es doch gar nicht geben.
  • Logische Fehler: Zu ihnen kommt es, wenn man von bekannten auf erst zu beurteilende Leistungen schließt, so z.B. bei der Annahme, eine Schülerin mit vorzüglichen Leistungen in Mathematik sei auch in Physik sehr gut oder ein differenzierter mündlicher Ausdruck gehe auch mit einem sehr guten schriftlichen Ausdruck einher – was zwar sein kann, aber nicht muss.
  • Halo-Effekte: Ein globaler Eindruck bestimmt die Wahrnehmung einzelner Merkmale. Es besteht z.B. die Gefahr, dass eine Schülerin, die durch ihr Auftreten, ihre Kleidung etc. einen unordentlichen Eindruck macht, auch schlechter beurteilt wird. Ebenso ist es beim „Star der Klasse“ möglich, dass der positive Gesamteindruck von Schwächen ablenkt.
  • Sich vorab überlegen, welche Aspekte bei der Betrachtung einer Schüler/innenleistung entscheidend sind und diese konkret und differenziert formulieren (z.B. mit Checklisten).
  • Sich nicht von zufälligen und allgemeinen Beobachtungen leiten lassen.
  • Besonders aufmerksam sein bei Schüler/innen, über die man nur wenig weiß oder deren Leistungen im unauffälligen Mittelfeld liegen; hier kommt es besonders leicht zu Voreingenommenheiten.
  • Das Bild, das man von einer Schülerin/einem Schüler hat, regelmäßig überprüfen und ggf. revidieren. Man sollte sich Gedanken, Einschätzungen, Erwartungen etc. vergegenwärtigen und versuchen, dieses Bild nach dem Falsifikationsprinzip anschließend durch Beobachtungen zu widerlegen.
  • Besondere Vorsicht bei Vorinformationen über Schüler/innen (z.B. durch Akten, Gespräche mit Kolleg/innen); man sollte sich immer erst ein eigenes Bild machen.
  • Hervorstechende Merkmale von Schüler/innen zumindest zeitweise ausblenden, um sich nicht von anderen Eigenschaften ablenken zu lassen (z.B. Aufsätze voller Rechtschreibfehler erst ins Reine übertragen lassen, bevor man sie liest, sich auf den sachlichen Gehalt in den Antworten eines Kindes mit unbeholfenem Ausdruck konzentrieren).
  • Reihungsfehler vorbeugen. Bei mündlichen Prüfungen und Korrekturen Reihenfolgen gezielt variieren und keinesfalls immer nach Sitzordnung oder Alphabet vorgehen. Auch sollte man bei vielen mündlichen Prüfungen oder längeren Korrekturen hinreichend Pausen einplanen.